
On show: from 3 August to 7 September 2025 at Walgenbach Art & Books in Rotterdam, NL
Ein Kunst-Projekt rund um ein Zollhäuschen an der Französisch-Schweizerischen Grenze im Dezember und Januar 2024/25 bei Hegenheim. Das Projekt beinhaltet einen performativen Spaziergang «Besuch der Grenze», einen dazugehörigen Text. Es sind Fotoprints entstanden und eine künstlerische Intervention im Zollhäuschen.
Die künstlerische Arbeit basiert auf Fotografien, welche ich in dem Zollhäuschen gefunden habe. Verblasst und beinahe aufgelöst erzählen sie von Unbekanntem, sie lösen einen Schwall von Vermutungen und unbeantworteten Fragen aus. Wer sind die Menschen auf den Fotos? Wem haben diese gehört? Warum hat der Mensch die Fotos hier liegen lassen? Was hat er hier gemacht? Wie viel Zeit hat er hier verbracht? wie ist es ihm ergangen? wo ist dieser Mensch heute? Hat er sein Glück gefunden?
Fotoprints:
«verschwinden_verschwunden» 1 & 2, Inkjet Print auf Hahnemühle Fine Art Paper, 175 x 110 cm und «verschwinden_verschwunden» 3 & 4, Inkjet Print auf Hahnemühle Fine Art Paper, 70 x 109 cm & 665 x 109 cm auf Aluminium und gerahmt.
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An art project centred around a customs house on the French-Swiss border as part of the exhibition ‘From Chaos to Order and Back’ at FABRIKculture in Hegenheim in December and January 2024/25. The project includes a performative walk called ‘Visit to the Border,’ an accompanying text, and photo prints and an artistic intervention in the customs house.
The artistic work is based on photographs that the artist found in the customs house. Faded and almost dissolved, they tell of the unknown, triggering a flood of assumptions and unanswered questions. Who are the people in the photos? Who did they belong to? Why did the person leave the photos here? What did the person do here? How much time did the person spend here? What happened to the person? Where is the person today? Did he find contentment?
Photo prints:
‘verschwinden_verschwunden’ 1 & 2, inkjet print on Hahnemühle Fine Art Paper, 175 x 110 cm, and ‘verschwinden_verschwunden’ 3 & 4, inkjet print on Hahnemühle Fine Art Paper, 70 x 109 cm & 665 x 109 cm on aluminium and framed.
Auszüge aus dem Text, der im Zollhäuschen anlässlich des performativen Grenzbesuchs angepinnt wurde:
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Excerpts from the text pinned to the customs house during the performative border visit (in German only):
(…) Schau da drüben, die Holz-Baracke, eine grosse Baracke, sie gehört zur Schweiz. Die Baracke ist ein Asylantenheim, für Flüchtlingsfamilien. Es hat was von einem Ferienlager-Haus. Vielleicht war es das mal, aber vielleicht wurde es extra für die jetzige Nutzung gebaut. Warum sollte man auch ein Ferienlager direkt an der Grenze bauen? Vielleicht dachten sich die Erbauer, dass diese Form den temporären Charakter unterstreicht. Man hält sich nur temporär im Ferienlager auf. Es hat dort 150 Betten. Ganz kleine Zimmer mit jeweils vier Kajütenbetten. Wie im Ferienlager eben. Die Asylsuchenden können von dort direkt zu uns schauen, also nach Frankreich, über den Acker, der im Sommer ein Maisfeld war.
Früher waren Maisfelder für mich etwas, das zur Landschaft gehört, etwas, irgendwie, nettes.
Die Tiere verstecken sich darin und auch Liebespaare. Das habe ich, glaube ich, mal in einem Film gesehen. Auch in Verfolgungsszenen, kann der flüchtende Mensch gut im Maisfeld verschwinden und ist dann unauffindbar, das hab ich auch schon in einem Film gesehen.
Das macht natürlich insbesondere in Grenzgebieten Sinn und besonders, wenn die Grenze überwacht wird, weil zum Beispiel die Staaten sich feindselig gegenüberstehen, also sich im Krieg, im kalten oder heissen, befinden.
Aber heute ist das ja nicht. Die Grenze wird manchmal kontrolliert, es gibt Kameras, die Lastwagen halten kurz beim Briefkasten an, die Zolldeklaration wird eingeworfen und sie fahren weiter. Die Autos bremsen kaum mehr ab, wenn sie über die Grenze fahren.
Grenzen werden überschritten, du hast sie überschritten und ich auch. Wir machen das, weil wir das dürfen. Die meisten von uns kommen von hier aus gesehen von «ännet» der Grenze. Diejenigen von uns, die von hier aus gesehen von dort kommen, sind seit je her privilegiert. Daher kommen die von drüben in der Regel nicht hierher, um zu arbeiten. Wohingegen jene von hier öfter mal rübergehen zum Arbeiten.
Früher gingen die Juden rüber und kamen Abends wieder zurück. Sie durften nicht in der Schweiz wohnen bis 1860 (ausser in Lengnau und Endingen, AG). Sie sind auch diesen Weg gegangen.
Im Krieg war man gerettet, wenn man die Grenze überschritten hatte. Manchmal – nicht immer, denn manchmal wurde man an der Grenze abgewiesen, dann war man verloren.
Später wurde die Grenze durchlässiger, bis Corona, dann war die Grenze wieder das Ende des Staates.
Grenze schafft Ordnung und verursacht Chaos.
Ganze Kontinente wurden mit Linealen auf Landkarten in Kolonialstaaten unterteilt. Grenzen wie Schnitte. Bevölkerung, Landschaft, Ökosystem zerschnitten. Eiter, Vernarbung, Verstümmelung.
Jetzt
werden entlang europäischen Grenzen Mauern gebaut, damit die aus den zerschnittenen Kontinenten nicht reinkommen können. An diesen Mauern kommt kein Mensch und kein Tier mehr vorbei.
Wir sind auf dem Weg zum Grenzhäuschen, das verlassen und verfallen ist. Daneben steht ein Neues. Es handelt sich um Französische Zollhäuschen, der Schweizer Zoll befindet sich ein paar hundert Meter weiter vorne, an den jüdischen Friedhof angrenzend. Diese paar hundert Meter Strasse zwischen den Zollstellen führen exakt der Grenze entlang. Links französische Felder und Äcker, rechts Schweizer Kieswerk, Abfallverwertung, Transportunternehmen, Inovationspark, Tropeninstitut, Medizinische Labore, Laborgerätehersteller, Lebensmittelhersteller, Fitneszenter und Asylheim.
Asyl an der Grenze.
Man schaut aus dem Fenster auf fremdes Land, das man nicht betreten darf, man schaut aus dem Fenster über den Acker, im Sommer über den Mais hinweg, da hin, wo wir jetzt stehen und gehen.
Der Mais kam ursprünglich aus Mexico. Entlang dessen Grenze zu den USA gibt es heute auch so eine Mauer. Weltweit werden heute jährlich 1.2 Milliarden Tonnen Mais produziert, davon wird 60% an Nutztiere verfüttert. Nutztiere werden für Milch und Fleisch genutzt. Nur selten sieht man diese draussen, die meisten bleiben von Geburt bis Schlachtung im Innern der Industriebauten.
An diesem Maisfeld bin ich diesen Sommer oft vorbeigekommen. Früher habe ich nicht gross über Pestizide nachgedacht. Aber Heute – Vor allem für den Maisanbau braucht es viel davon und heute ist bekannt, dass es die Insekten zum Verschwinden bringt und uns krank macht.
So kommt es, dass die Maisfelder ihre Nettigkeit für mich endgültig verloren haben.
Wenn ich spaziere und an Maisfeldern entlang gehen muss, fühle ich mich schutzlos ausgeliefert und manchmal, wenn ich diesen Sommer Nachts mit dem Fahrrad dem Maisfeld entlang Richtung Basel fuhr, die Blätter der Pflanzen schon angetrocknet waren und ein kleiner Wind sie etwas rascheln liess, ich sie darauf im Vorbeifahren betrachtete, diese in Reih und Glied stehenden, bis zu drei Meter grossen, vom Mond beschienenen Pflanzen, so standen sie da, wie ein riesiges Heer toter Soldaten, deren Ausrüstungen mit ihren Knochen einwenig ins Klappern kamen.
Nun sind wir an der Placette Européenne. Schau, hier das Schild, da steht es. Schau hier dieser überwucherte kreisförmige Wall. Brombeeren. Im Sommer kommt man hier kaum rein. Jetzt geht es. Komm rein. Schau, es ist eine Ausdehnung der Grenze in zwei Richtungen. Es erinnert an einen Uterus, wir gehen durch Vagina und Cervix. Siehst du, hier drin sind wir abgeschieden und geschützt.
Im Lebendigen geht alles ineinander über. Fliessende, atmende, verdauende, verästelte Übergänge.
Hier hat die Politik entschieden, ein Zeichen für Europa zu setzen, es ist schon ein paar Jahrzehnte her. Sie haben diesen Zwischenraum geschaffen. Er erinnert an die Warteräume in den Bahnhöfen der Grenznahen Umgebung. Die sind oft mehr als Warteräume, nämlich Refugien für Asylsuchende, die nicht mehr weiter wissen, nicht, welche Grenze wo hin führt, nicht, wohin sie gehen können.
Schau, hier ist das verlassene Zollhäuschen. Hier lagen diese Fotos, schau!
Die gehörten vermutlich einem Asylsuchenden. Er hat sie hier auf der Grenze im Grenzhäuschen liegen lassen. Warum wohl? Vielleicht wurde er von der Polizei überrascht.
Oder vielleicht hat er einen Durchschlupf gefunden. Hier irgendwo zwischen IBA- Park (Internationale Bauausstellung), Kieswerk, innovativer Gewerbe-Überbauung und Maisfeld, im Dazwischen der Grenze, der Verkettung und Verwicklung hat er vielleicht eine Öffnung entwirrt und Raum mit Dauer gefunden, darin zu verschwinden.

Die Intervention im verlassenen Zollhäuschen, das übrigens unterdessen ebenfalls verschwunden ist. photo©WillemMes)
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The intervention in the abandoned customs house, which, incidentally, has also disappeared in the meantime. photo©WillemMes)